Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 07.01.2013

Die britische Seele der Weihnachtszeit

Dorsten. Wer schon einmal einen Weihnachtsgottesdienst in Ascot besucht hat oder in der Adventszeit in London bei Harrods einkaufen war, der wird sie kennen – die englischen „Christmas Carols“.

Ein wunderbares Konzert mit kunstvoll mehrstimmigen Kompositionen dieser Rund- und Reigentänze aus dem musikalischen Volksgut der Insel hat am Abend des Dreikönigstages der Schönhausen Chor aus Krefeld unter der Leitung von Joachim Neugart den Besuchern in der St. Agatha-Kirche beschert.

Viele Gäste und zu wenige Programmhefte. Das war das Bild bei diesem außergewöhnlichen Programm mit dem Titel „Very British“, denn es kamen weit mehr Besucher als erwartet. Die über 250 Musikliebhaber wurden sogleich beim ersten Lied auf die besondere Atmosphäre der weihnachtlichen Jubelgesänge eingestimmt.

„On this day earth shall ring“, an diesem Tag soll die Erde klingen – ganz sanft und zart erhoben sich die 28 Frauenstimmen des Chores, glockenklar wie der Gesang junger Mädchen beim Ringelreihen auf der Wiese in längst vergangenen Zeiten. Musik gewordene Poesie aus dem Land der begnadeten Dichter wie Shakespeare und Blake.

Feinste stimmliche Intonation

Neugart besticht durch die abwechslungsreiche Gestaltung der drei-fünf oder sogar achtstrophigen Lieder. Nach den Frauenstimmen kommen die zwölf Männer im Bass und Tenor zum Einsatz. Bei allen Carols werden die Strophen wechselnd a-cappella gesungen, von Neugart an der Truhenorgel oder dem vierköpfigen Bläserensemble „Artefiata“ begleitet.

Axel Arns (Trompete), Barbara Trottmann (Trompete), Andreas Roth (Posaune) und Hernan Angel (Tuba) unterstützen die 40 Stimmen sanft, unterstreichen Dynamiken und Interpretation, tragen vor allem in den Abschlussstrophen zu einem feierlichen triumphalen Ausdruck der Glückseligkeit bei.

Dieses einfache, aber überwältigende Gefühl der Freude ob der Geburt Jesu ist Leitmotiv der Cristmas Carols. „Lullay, my liking, my dear son“ Schlafe mein Liebster, mein lieber Sohn und „Jesulein süß, o Jesulein mild“ sind Ausdruck tiefster Liebe für das Kind und für den Retter der Menschheit.

Die 40 Sänger des Schönhausen Chores interpretieren jedes Lied nicht nur mit feinster stimmlicher Intonation, sondern auch mit einem enormen Gefühl aus der Tiefe ihrer Seelen. Nichts ist pompös, alles ist angemessen. Der Zuhörer fühlt sich gewiegt wie das Baby in der Krippe und tief im Herzen bewegt wie eine Mutter beim Anblick ihres Neugeborenen.

Das Bläserensemble bereicherte das Konzert mit zwei Blöcken von jeweils vier Instrumentalversionen bekannter Carols. „Ding dong merrily on high“ – die Trompeten interpretierten die hohen Glockenklänge, Tuba und Posaune unterlegten einen getragenen Rhythmus. In steter Vielseitigkeit zeigten die vier Musiker verschiedenste Carols, so beim „Deck the Halls“ aus dem Walisischen oder dem Carol aus dem mittelenglischen Coventry.

Orgelwerke aus Frankreich

Joachim Neugart spielte zwei Orgelsolo Stücke von Louis Claude D´Aquin, Barockkomponist aus Frankreich, die mit ihrer tänzelnden Dynamik gespielt mit hohen Kornett-Registern bestens in die leichte Atmosphäre passten.

Am Ende des Konzertes waren die Zuhörer beseelt von Musik und Gesang, forderten Zugabe um Zugabe. Der Schönhausen-Chor positionierte sich in der Apsis für „O nata Lux“ von Lauridsen, einer modernen Komposition der klassischen Polyphonie und stellte seine erstklassige Qualität noch einmal unter Beweis. Dann freuten sich alle am gemeinsamen Lied: „Noel, noel“ – jeder spürte, es ist noch Weihnacht.

Barbara Seppl